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Warum Übererregung bei Hochsensibilität und Bindungstrauma so häufig ist

Wenn das Nervensystem dauerhaft in Alarmbereitschaft ist

Hochsensible Menschen (HSP) haben feine Antennen für ihre Umwelt und ihr eigenes Innenleben.

Sie nehmen die Welt intensiver war – emotional, körperlich aber auch in zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn dazu frühkindliche Bindungsverletzungen oder traumatische Erfahrungen kommen, kann das betreffende Nervensystem in permanente Daueranspannung geraten.

Ein unangenehmer Zustand, der oft übersehen wird, aber tiefgreifende Auswirkungen auf das Wohlbefinden und den Alltag Betroffener hat: die sogenannte Übererregung (Hyperarousel).

Auf dieser Seite erfährst du, was Übererregung ist, sie sie sich äußert, welche Überschneidungen es bei zwischen Übererregung, HSP und Trauma gibt, warum dieser Zustand besonders für HSP mit Bindungstrauma so belastend ist und was du tun kannst, um dein Nervensystem zu entlasten.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Übererregung (Hyperarousal)?

Überregung beschreibt einen nervensystemischen Zustand anhaltender innerer Anspannung und  Alarmbereitschaft. Das autonome Nervensystem – insbesondere der Sympathikus (“Kampf-oder-Flucht-Modus”) – ist dabei ständig „an“. Es scannt unbewusst und ununterbrochen nach möglichen Bedrohungen, selbst wenn es objektiv keine gibt.

Diese Form von Dauerstress kann durch eine frühe Traumatisierung entstehen, aber auch durch eine erhöhte neuronale Erregbarkeit, wie sie viele HSP erleben.

Wenn beides zusammenkommt, verstärken sich die Effekte oft gegenseitig.

Exkus: Wenn es uns als Babys an Sicherheit fehlt

Bereits in den ersten Lebensmonaten lernt das Nervensystem eines Babys durch Beziehung. Wird es regelmäßig beruhigt, gehalten und feinfühlig gespiegelt, kann sich ein inneres Gefühl von Sicherheit entwickeln. Doch wenn diese sichere Bindung fehlt – etwa weil Eltern selbst traumatisiert oder emotional nicht erreichbar sind – bleibt das kindliche Nervensystem oft in einem Zustand erhöhter Alarmbereitschaft.

Die fehlende Co-Regulation durch die Bezugsperson führt dazu, dass das Baby Übererregung nicht abbauen kann. Körperlich zeigt sich das in dauerhafter Muskelanspannung, unruhigem Schlaf, häufigem Weinen, Verdauungsproblemen oder einer erhöhten Schreckreaktion

Diese frühen körperlichen Erfahrungen prägen langfristig, wie Stress verarbeitet wird – und können die Grundlage dafür sein, dass ein Mensch auch später besonders empfindsam auf Belastung reagiert, ohne überhaupt zu wissen, warum.

👉 Für hochsensible Menschen mit Bindungstrauma liegt hier oft der Ursprung ihrer chronischen inneren Anspannung.

Überschneidungen: Übererregung bei Hochsensibilität und Trauma

Hier findest du eine Übersicht, die dir hilft zu verstehen, warum Übererregung bei Hochsensibilität und frühem Trauma oft zusammenwirkt.

BereichHochsensibilitätBindungstrauma
Nervensystemerhöhte Grundanspannung durch ReizempfänglichkeitNervensystem bleibt im Überlebensmodus (Kampf, Flucht, Erstarrung)
Reizverarbeitungschnell überreizt, dünnere Reizfilterfrüh erlernte Reaktionsmuster, basierend auf Unsicherheit
Emotionale Regulationintensive emotionale ReaktionenSchwierigkeiten, Gefühle zu regulieren
Körpersignalefeine Wahrnehmung innerer ZuständeKörpersignale oft mit starker Angst verknüpft

👉 Die Gemeinsamkeit: Ein Nervensystem, das kaum zur Ruhe kommt – weil es entweder überreizt oder ständig in Alarmbereitschaft ist.

Psychische und körperliche Anzeichen von Übererregung

Die folgenden psychischen und körperlichen Symptome können auf Übererregung hindeuten:

Psychische Anzeichen

  • chronische innere Unruhe
  • Konzentrationsprobleme, Gedankenrasen
  • emotionale Überwältigung (plötzlich starkes Weinen, Wut, Angst)
  • Schlafstörungen, Einschlafprobleme
  • erhöhte Schreckhaftigkeit
  • Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen

Körperliche Anzeichen

  • Muskelverspannungen (v. a. Nacken, Kiefer, Rücken)
  • Herzklopfen, Druck im Brustbereich
  • Zittern, Schwitzen, Hitzegefühle
  • Reizdarm, Verdauungsprobleme
  • chronische Erschöpfung trotz „innerer Aktivierung“
  • hormonelle Dysbalancen (z. B. Cortisol, Adrenalin erhöht)

Welche Probleme können daraus entstehen?

Wenn du dauerhaft in einem übererregten Zustand bist, kann das viele deiner Lebensbereiche der nachhaltig beeinträchtigen:

  • Beziehungen: Nähe wird als zu viel empfunden (weil sie von deinem System als gefährlich eingestuft wird), Rückzug oder emotionale Reaktionen führen zu Missverständnissen, hohe Ambivalenz durch Wunsch nach Verbundenheit bei gleichzeitiger Angst vor Nähe.
  • Arbeit: Reizüberflutung, Perfektionismus oder Überanpassung machen den Alltag anstrengend und erhöhen den Level der Übererregung – manchmal so stark, dass zu Ruhe kommen und Schlafen zu einer Herausforderung werden.
  • Körperliche Gesundheit: Schlafmangel, chronischer Stress und Entzündungsprozesse schwächen das Immunsystem, was zu verschiedenen Krankheiten beitragen kann, um den Zusammenhang besser zu verstehen ist das Buch “Wenn der Körper nein sagt” von Gabor Maté sehr empfehlenswert (aber auch erschreckend gleichzeitig).
  • Selbstwert: Wenn du dich „zu empfindlich“ oder „nicht belastbar genug“ fühlst, leidet auch das Bild, das du von dir selbst hast. Was erneut Stress auslösen kann, wenn wir glauben dem allgemeinen Druck zur Selbstoptimierung gerecht werden zu müssen, denn der hindert uns eher daran die wahren Ursachen eines schwachen Selbstwert zu erkennen.

👉Vor allem bei HSP mit Bindungstrauma kommt oft ein tiefes Gefühl von „mit mir stimmt etwas nicht“ hinzu – was die Belastung weiter verstärkt.

Warum dieses Thema für HSP mit frühem Trauma zentral ist

Frühe Bindungserfahrungen prägen, wie sicher wir uns in uns selbst fühlen – und wie sehr unser Nervensystem dauerhaft in Hab-Acht-Stellung bleibt.

Manchmal erinnert mich dieser Zustand an einen Leuchtturm, dessen Suchscheinwerfer unermüdlich über die nächtliche Landschaft streift. Ganz gleich, ob sich tatsächlich ein Schiff nähert oder nicht – er leuchtet Stunde um Stunde die Küste ab, als wolle er nur sicherstellen, dass jede mögliche Gefahr früh genug erkannt wird.

Hochsensible Menschen spüren diese pausenlose Alarmiertheit besonders intensiv. Sie nehmen kleinste Störungen, Disharmonien oder Unsicherheiten wahr – und reagieren nicht selten mit Überanpassung, Rückzug oder innerer Unruhe.

Wenn zusätzlich ein Bindungstrauma vorliegt, wird Entspannung selbst zur Herausforderung. Denn dann hat das betreffende Nervensystem oft nie gelernt, dass Ruhe sicher ist.

👉Deshalb ist es zentral, mit Übererregung achtsam umzugehen – und dem Körper (nicht nur dem Kopf!) neue Erfahrungen von Sicherheit zu ermöglichen. In kleinen Schritten, Häppchenweise, ohne Druck.

Was hilft bei Übererregung?

1. Das Nervensystem verstehen lernen

Wissen schafft Erleichterung. Wenn du verstehst, warum dein Körper so reagiert, kannst du dir selbst mit mehr Mitgefühl begegnen – statt dich ständig zu verurteilen.

2. Regulation durch Körperarbeit

Verstand und Sprache reichen oft nicht aus, um ein übererregtes System zu beruhigen. Achtsame, körperbasierte Methoden wie z. B.

  • Somatic Experiencing®
  • Körperübungen
  • Traumasensibles Yoga
  • Atemarbeit
  • Focusing

helfen, das Nervensystem schrittweise zu regulieren.

Tipp: Anregungen dazu findest du auch in meinem Blogbeitrag 5 Ressourcen für den Umgang mit Übererregung, der auch weitere Informationen zum Thema enthält und erklärt welche Rolle Selbstregulation im Zusammenhang mit Übererregung spielt.

3. Sichere soziale Bindungserfahrungen

Beziehungen, in denen du dich gesehen und gehalten fühlst, sind ein wichtiger Heilungsfaktor, weil sie korrigierende Lernerfahrungen ermöglichen. Sie können das Nervensystem „umlernen“ lassen. Was die Grundvoraussetzung dafür ist, dass sich Veränderung einstellen kann.

4. Struktur und Reizreduktion im Alltag

Ein bewusst geregelter Alltag mit klaren Grenzen, Pausen und reizarmen Phasen ist für HSP mit Trauma keine „Schwäche“, sondern lebenswichtig.

Fazit: Übererregung ist kein Persönlichkeitsfehler

Sie spieglt ein ein überlastetes Nervensystem wieder, das gelernt hat, wachsam zu sein.

Gerade wenn du hochsensibel bist und frühe Verletzungen erlebt hast, ist es wichtig, liebevoll mit dir umzugehen, Warnsignale deines Körpers ernst zu nehmen und Wege zu finden, wieder in Kontakt mit deiner inneren Sicherheit zu kommen.

Möchtest du dich auf diesem Weg begleiten lassen?

In meinen Begleitangeboten findest du Raum, deine Körpersignale besser zu verstehen und achtsam mit dir selbst in Verbindung zu kommen.