Naturing Myself - Wissen - Traumasensitive Selbstfürsorge für HSP mit Trauma - Selbstfürsorge mit Fokus auf Nervensystem und Trauma

Selbstfürsorge mit Fokus auf Nervensystem und Trauma

Zurück ins Gleichgewicht – mit Natur und traumasensitiver Selbstfürsorge

Selbstfürsorge ist ein häufig empfohlener Ansatz zur Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts – doch für hochsensible Menschen mit Bindungstrauma greifen viele herkömmliche Tipps zu kurz.

Was für andere wohltuend oder stärkend wirkt, kann sich für Betroffene schnell überfordernd, fremd oder sogar bedrohlich anfühlen. Besonders dann, wenn früh erlebte Grenzverletzungen oder emotionale Vernachlässigung dazu geführt haben, dass eigene Bedürfnisse kaum spürbar sind oder mit Scham- und Schuldgefühlen verknüpft werden.

Gerade in solchen Fällen kann die Natur eine heilsame Brücke sein: Sie fordert nichts, bewertet nicht und wirkt regulierend auf das übererregte Nervensystem. Für viele HSP ist sie einer der wenigen Räume, in denen echte Entlastung spürbar wird.

Auf dieser Seite zeige ich dir, was traumasensitive Selbstfürsorge wirklich bedeutet und wie du sie sanft, wirksam und mit Blick auf dein sensibles Nervensystem nutzt.

Inhaltsverzeichnis

Was ist traumasensitive Selbstfürsorge?

Selbstfürsorge wird heute oft mit Wellness gleichgesetzt: ein heißes Bad, Yoga bei Kerzenschein, Mandala-Malen zu Entspannungsmusik. Diese Formen von Selbstfürsorge können durchaus wohltuend sein – doch für feinfühlige Menschen mit frühen Bindungsverletzungen oder einem dysregulierten Nervensystem greifen sie oft zu kurz. Warum? Weil Selbstfürsorge in einem traumatisierten System zuerst etwas ganz anderes braucht: Sicherheit – innen wie außen.

Traumasensitive Selbstfürsorge bedeutet daher nicht, dich „zusammenzureißen“, um den neuesten Wellness-Trend auf Social Media mitzumachen, sondern sichere Räume zu schaffen, in denen dein System sich geborgen fühlt. Es geht um das Langsame, das Erlauben, das Regulieren – jenseits des Ideals des “Funktionierens”.

👉 Sie fragt nicht: Was muss ich jetzt tun, um mich besser zu fühlen? Sondern: Was braucht mein Nervensystem, um nicht mehr im dauerhaften Alarmzustand zu sein?

Tempo und Anspruch machen den Unterschied

Der zentrale Unterschied liegt im Tempo und im Anspruch: Während klassische Selbstfürsorge oft auf Aktivität und Produktivität abzielt („Ich meditiere, um ruhiger zu werden“, “Ich gehe joggen, um fitter zu werden”), erlaubt trauma-informierte Selbstfürsorge auch das Nichtstun, das Zulassen, das Langsame. Sie berücksichtigt, dass dein Körper vielleicht noch nicht bereit ist für Entspannung – und dass das völlig in Ordnung ist.

Traumasensitive Selbstfürsorge bedeutet:

  • dich nicht zu überfordern mit To-dos, sondern auf innere Signale zu hören
  • deine Reaktionen nicht zu bewerten, sondern mitfühlend zu begleiten
  • dich nicht „zusammenzureißen“, sondern Mitgefühl für den Teil in dir zu entwickeln, der dich schützt (mehr über innere Anteile folgt)

Es geht darum, Regulation statt Kontrolle zu fördern. Statt dich aus dem Stress „herauszudenken“ (was ohnehin nicht funktioniert), beginnst du, mit deinem Körper in Kontakt zu treten – über deinen Atem, über sanfte Selbstberührung, über Kontakt zur Natur oder über sanfte Bewegungen. Und statt dich selbst zu optimieren oder zu verbiegen, lernst du dich wieder zu spüren.

👉 Traumasensitive Selbstfürsorge ist also leise, subtil und tief. Sie sagt: Du musst nicht besser werden, um es wert zu sein, dass du dich gut um dich kümmerst. Du darfst jetzt anfangen. Genau so, wie du bist.

Warum Selbstfürsorge für HSP mit frühem Trauma oft schwierig ist

Für viele hochsensible Menschen mit Bindungstrauma ist Selbstfürsorge nicht einfach ein Akt der Zuwendung, sondern eine innere Herausforderung.

Was für andere erholsam klingt – sich Zeit nehmen, ausruhen, etwas für sich tun – kann bei ihnen tiefsitzende innere Konflikte auslösen. Denn früh gelernte Muster wie „Ich bin nur dann wertvoll, wenn ich funktioniere oder etwas leiste“ oder „Meine Bedürfnisse sind zu viel“ wirken im Hintergrund weiter. Sich selbst etwas Gutes zu tun, kann dadurch nicht nur ungewohnt, sondern regelrecht bedrohlich wirken – weil es früher vielleicht nicht sicher war, weich, bedürftig oder einfach „da“ zu sein.

Zudem ist das Nervensystem traumatisierter Hochsensibler oft dauerhaft in Alarmbereitschaft. Selbst scheinbar entspannende Aktivitäten wie ein Spaziergang oder eine Meditation können Überforderung auslösen, wenn das System nicht gelernt hat, wie sich Sicherheit im eigenen Körper anfühlt. 

👉 Selbstfürsorge braucht hier nicht Disziplin, sondern vor allem Trauma-Wissen, Sanftheit und das Erlaubnisgefühl, überhaupt Bedürfnisse haben zu dürfen – und ihnen in kleinen, achtsamen Schritten Raum zu geben.

Innere Blockaden: Warum Selbstfürsorge sich oft falsch anfühlt

Viele hochsensible Menschen mit Bindungstrauma tragen unbewusst eine starke Überverantwortlichkeit in sich. Sie haben früh gelernt, für das emotionale Gleichgewicht anderer zu sorgen – oft auf Kosten der eigenen Bedürfnisse. Daraus entsteht ein tief verankerter People-Pleasing-Mechanismus: Nur wenn ich mich nützlich mache, bin ich sicher. Die Folge sind Schuldgefühle, sobald sie sich selbst an erste Stelle setzen – selbst bei kleinen Handlungen wie „Nein sagen“ oder einer Pause am Nachmittag.

Hinzu kommt häufig eine erlernte Selbstvermeidung: Wer als Kind signalisiert bekam, „Du bist zu empfindlich“, „Du störst“, „Reiß dich zusammen“, lernt irgendwann: Ich zähle nicht. Diese Überzeugung lebt im Körper weiter – selbst dann, wenn unser Verstand längst weiß, dass Selbstfürsorge wichtig wäre.

Und nicht zuletzt reagiert der Körper oft mit Abwehr auf Entspannung. Was nach Ruhe aussieht – ein stiller Moment, ein tiefer Atemzug, ein warmer Tee – kann plötzlich innere Unruhe, Angst oder Spannung auslösen. Das liegt nicht daran, dass du etwas falsch machst, sondern daran, dass dein System noch nicht gelernt hat, Sicherheit in der Ruhe zu empfinden. In einem Körper, der lange im Überlebensmodus war, fühlt sich das Ungewohnte – selbst das Gute – zuerst fremd oder sogar gefährlich an.

👉 Selbstfürsorge beginnt also nicht mit To-dos, sondern mit dem Verlernen alter Schutzmechanismen – sanft, Schritt für Schritt, im eigenen Tempo.

Was Selbstfürsorge für dein Nervensystem wirklich bedeutet

Wahre Selbstfürsorge beginnt nicht im Kopf, sondern im Körper – genauer gesagt: im Nervensystem. Wenn du hochsensibel bist und ein Bindungstrauma erlebt hast, ist dein Nervensystem oft chronisch angespannt. 

Selbst scheinbar harmlose Reize können überfordernd wirken. Deshalb geht es bei tiefer Selbstfürsorge nicht darum, etwas „richtig zu machen“, sondern darum, dein System langsam wieder mit Sicherheit, Rhythmus und Verbundenheit in Kontakt zu bringen.

Das kann über sanfte Erdung geschehen – barfuß auf weichem Untergrund im Wald oder auf einer Wiese, ein schweres Kissen auf deinem Schoß oder das Summen einer tiefen Note, die Vibration im Brustkorb erzeugt.

Über Co-Regulation zu Entspannung finden

Auch Co-Regulation spielt eine große Rolle: Wenn du mit einem sicheren Menschen, einem Tier oder auch einem vertrauten Ort in Resonanz gehst, kann sich dein Nervensystem entspannen, ohne dass du es aktiv steuern musst. Wie bei einer Art „Nervensystem-Tankstelle“.

Und Selbstfürsorge muss nicht aufwändig sein – manchmal reichen zwei Minuten bewusste Präsenz: die Hand aufs Herz legen, eine langsame Ausatmung, bewusst wahrnehmen, wie sich dein Körper gerade anfühlt. Es ist dieser stille Dialog mit dir selbst, der beginnt, alte Überlebensmuster durch neue Erfahrungen zu ersetzen.

👉 Selbstfürsorge ist nicht immer “schön”. Manchmal ist sie: einen Timer stellen und 3 Minuten lang einfach atmen. Oder dir erlauben, 10 Minuten unter deiner Gewichtsdecke zu liegen – nicht als Flucht, sondern als wohltuende Zuwendung zu dir und deinen Bedürfnissen.

Traumasensible und naturbasierte Übungen für deinen Alltag

1. Barfußgehen in Achtsamkeit

Geh langsam und barfuß über Gras, Erde oder Holz. Nimm ganz bewusst wahr, wie sich die Temperatur, die Struktur des Bodens und das Gewicht deiner Schritte anfühlen. Es geht nicht ums „richtig machen“, sondern darum, dich mit deinem Körper zu verbinden und ins Spüren zu kommen, ganz ohne Druck.

Auch ein weicher Teppichboden in deiner Wohnung kann eine Alternative sein, wenn du gerade nicht nach draußen gehen möchtest.

Tipp: Gibt es in deiner Nähe einen Barfußpfad? Diese laden besonders dazu ein, verschiedene Untergründe achtsam zu erspüren – und sind eine wunderbare Möglichkeit, dich zu erden und in deinem Körper anzukommen.

2. Dich an einen Baum lehnen

Lehne dich mit deinem Rücken an einen Baum. Spüre die feste Struktur hinter dir, atme tief ein und stell dir vor, dass du über deine Füße mit der Erde verbunden bist, wie die Wurzeln des Baums. Das vermittelt Halt und kann zur Regulation deines sensiblen Systems beitragen.

3. Summen im Wind

Stell dich draußen hin, atme tief durch und beginne leise wie eine Biene zu summen. Die Vibration im Körper (insbesondere im Brustkorb) wirkt beruhigend auf deinen Vagusnerv („Ruhenerv“) und hilft, dein Nervensystem sanft aber effektiv zu regulieren.

4. Tiere beobachten

Setz dich in die Nähe von Vögeln, Insekten oder anderen Tieren – vielleicht in einem (Tier)park, im Garten oder am Waldrand. Beobachte sie ohne Bewertung, einfach mit offenem, neugierigem Blick. Lass dich von ihrer stillen Präsenz berühren.

Tiere sind von Natur aus im Hier und Jetzt – sie reagieren unmittelbar auf ihre Umgebung. Diese Präsenz wirkt oft beruhigend auf unser Nervensystem. Auch ohne direkten Kontakt kann so eine Form von Co-Regulation entstehen – etwas, das viele Tierbesitzer intuitiv kennen.

5. Mikro-Retreat: 3-Minuten-Stille in der Natur

Such dir einen ruhigen Ort im Freien – vielleicht eine Parkbank, einen Platz auf dem Balkon oder den Waldrand. Setz dich hin und sei für drei Minuten einfach nur da. Kein Handy, kein Ziel, kein Müssen.

👉 Spür deinen Atem, nimm deine Umgebung wahr – Geräusche, Farben, Gerüche – und komm für einen Moment ganz bei dir an. Lass dich von der Einfachheit des Augenblicks tragen.

6. Elemente-Ritual

Richte deine Aufmerksamkeit auf ein natürliches Element, zum Beispiel Wasser: den Regen, einen Fluss, eine Pfütze oder Tautropfen auf einem Blatt. Lass dieses Element für eine innere Qualität stehen, zum Beispiel für Reinigung, Loslassen oder Fließen von Gefühlen.

👉 Beobachte, was dabei in dir mitschwingt. Welche Bilder, Gefühle oder Impulse tauchen auf? Du musst nichts deuten – es reicht, wahrzunehmen, was in Resonanz geht.

Was deinem Nervensystem gut tut – und was es vermeiden möchte

Do’s – Was hilfreich sein kann

  • Körpersignale ernst nehmen: Spüre regelmäßig in dich hinein – was fühlt sich gerade sicher, was überfordernd an?
  • Langsamkeit zu lassen: Gib dir die Erlaubnis, alles in deinem Tempo zu tun.
  • Mini-Routinen statt Perfektion: Es muss nicht viel sein – schon zwei Minuten bewusste Atmung, ein kurzer Moment in der Natur oder ein stiller Blick aus dem Fenster können spürbar wirken. Selbstfürsorge beginnt im Kleinen. Regelmäßigkeit ist wichtiger als Perfektion.
  • Sichere Beziehungen pflegen: Umgib dich mit Menschen oder Tieren, bei denen du dich ruhiger, klarer oder sicherer fühlst. Auch ein Video von jemandem, den du magst oder als beruhigend empfindest, kann bereits eine co-regulierende Wirkung haben.
  • Nicht-funktionieren dürfen: Erlaube dir, auch mal „nichts zu schaffen“ – ohne schlechtes Gewissen. Taste dich langsam heran an diesen Gedanken.
  • Natur als Ressource nutzen: Rausgehen, riechen, fühlen – die Natur bietet Co-Regulation und Halt, ohne etwas von dir zu wollen. Noch dazu kostenlos und gut verfügbar.

Don’ts – Was eher schaden kann

  • Dich zwingen, dich zu entspannen: Wenn Ruhe sich bedrohlich anfühlt, ist das kein Versagen, sondern ein Signal deines sensiblen Nervensystems, das wichtig ist.
  • Vergleichen mit anderen: Deine Selbstfürsorge muss nicht aussehen wie auf Instagram. Sie darf still, unordentlich und unförmig sein. Hauptsache sie fühlt sich für dich stimmig an.
  • Dich pushen, „besser zu werden“: Selbstfürsorge ist kein Selbstoptimierungsprojekt oder Wettkampf. Es gibt kein Ziel zu erreichen oder Anspruch zu erfüllen.
  • Überforderung durch zu viele Tools: Weniger ist oft mehr – finde 1–2 Dinge, die dir guttun, statt alles ausprobieren zu wollen. Regelmäßigkeit ist wichtiger als die Menge der Tools.
  • Negative Selbstgespräche tolerieren: Wenn sich Gedanken melden wie „Ich sollte …“ oder „Ich bin zu empfindlich …“, nimm sie achtsam wahr. Diese inneren Stimmen sind oft alt und haben ihre ganz eigene Herkunftsgeschichte.
  • Selbstfürsorge als Belohnung behandeln: Du musst nichts leisten, um dir Fürsorge zu „verdienen“. Sie ist kein Bonus für Produktivität, sondern ein liebevoller Akt dir selbst gegenüber. Du darfst dir Fürsorge gönnen. Ohne Rechtfertigung. Ohne Bedingungen.

Fazit: Selbstfürsorge, ja – aber liebevoll und ohne Druck

Traumasensitive Selbstfürsorge ist kein Akt der Selbstoptimierung, sondern eine liebevolle Rückkehr zu dir selbst. Sie fragt nicht, was du leisten kannst, sondern was du brauchst, um dich sicher zu fühlen. Für hochsensible Menschen mit Bindungstrauma bedeutet das: langsamer werden, weicher werden, dir selbst Raum geben.

In kleinen, achtsamen Schritten lernst du, dich nicht mehr zu übergehen, sondern dir mit Mitgefühl zu begegnen. Selbstfürsorge wird so zur stillen, tiefen Form der Heilung – nicht durch Tun, sondern durch echtes Dasein für dich selbst.

Möchtest du dich auf diesem Weg begleiten lassen?

In meinen Begleitangeboten findest du Raum, deine Körpersignale besser zu verstehen und achtsam mit dir selbst in Verbindung zu kommen.