Wald und Gefühle
Ein Sprichwort besagt: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Aber stimmt das wirklich? Nur bedingt, würde ich sagen. Auf das Echo, als rein akustische Wahrnehmung, trifft es zu.
Wir besitzen jedoch vier weitere Sinne, die eine ebenso wichtige Rolle für unser Erleben spielen. Und damit für die Art und Weise wie wir den Wald wahrnehmen, einen Ort, der seine ganz eigene Art hat mit uns zu kommunizieren.
Das wussten auch schon die Macher der Sissi-Filme, die ich in meiner Jugend heiß geliebt habe. In einer Szene ist Sissi mit ihrem Vater auf der Jagd unterwegs. Während sie nach Beute Ausschau halten, gibt er ihr den Rat: Solltest du jemals von Kummer oder Sorgen gequält werden, gehe mit offenen Augen durch den Wald, er wird dir Trost und Kraft spenden.
Wie wertvoll dieser Rat ist, habe ich damals nicht begriffen. Heute weiß ich, dass es daran lag, dass ich kaum Kontakt zu mir selbst und zu meinen Gefühlen hatte.
Aber kann der Wald uns in der Tat helfen, besser mit unseren Gefühlen umzugehen? Mit dieser Frage befasst sich dieser Beitrag.
Grüner Erlebnisraum
Ein Aufenthalt im Wald ist eine einzigartige Erfahrung, die sich weder festhalten noch wiederholen lässt. Neben den vier Jahreszeiten mit ihren charakteristischen Farben, Formen und Gerüchen sowie dem Wetter beeinflusst auch die Tageszeit unser Erleben im Wald, was jeder weiß, der schon mal früh morgens oder bei Sonnenuntergang dort unterwegs war.
Es entsteht immer wieder eine einmalige Atmosphäre, die von Ruhe und Windstille ebenso geprägt sein kann wie vom lautem Rauschen und Pfeifen in den Baumwipfeln. Je nachdem welche unserer Sinne gerade angesprochen werden, nehmen wir auch noch andere Dinge wahr. Den erdig-modrigen Geruch des nassen Waldbodens oder einen kleinen Pilz, der zwischen den Ritzen eines alten Baumstamms hervorlugt.
In den Wäldern sind Dinge, über die nachzudenken man jahrelang im Moos liegen könnte.
– Franz Kafka
Ich, der Wald und meine Gefühle
Wir können das Ganze aber auch umdrehen und unsere Aufmerksamkeit im Wald auf uns selbst und unsere Gefühle lenken. Zwar kann das zunächst ungewohnt sein, doch wir können durch solch einen gezielten Wechsel der Perspektive lernen Veränderungen wahrzunehmen.
In unserem Lauftempo, zum Beispiel, oder in der Art und Weise wie wir mit unserer Umgebung in Kontakt sind. Beides kann meiner Erfahrung nach ein Indikator dafür sein, was wir gerade fühlen.
Wie kannst du also einen Aufenthalt im Wald nutzen, um besser mit deinen Gefühlen umzugehen?
1. Durch Ruhe zu einer besseren Selbstwahrnehmung
Wenn man nicht gerade sonntags im Sommer auf einem 5-Sterne-Premium-Wanderweg unterwegs ist, findet man im Wald seine Ruhe. Kein Autolärm, keine Telefonanrufe, keine lauten Nachbarn. Ein idealer Gegenpol zu unserem hektischen Alltag und ein Ort zum Abstandgewinnen. Räumlich und mental.
Ich merke oft erst nach 20 Minuten im Wald wie ein Stück Anspannung von mir abfällt, ich mich selbst besser wahrnehme und dabei spüre wie gestresst ich gerade noch war.
Je länger ich im Grünen unterwegs bin, desto leichter gelingt es mir wahrzunehmen, wie es mir gerade geht. Und auch wenn die Antwort manchmal Zeit braucht, der Wald bietet mir die ideale Umgebung, um sie zu finden.
2. Raum, um Gefühle wahrzunehmen
Im Alltag hänge ich gedanklich manchmal an einem Problem fest, für das es keine Lösung zu geben scheint. Gefühlt drehe ich mich hundertmal im Kreis, ohne auch nur einen Schritt weiterzukommen. Was mit meinem Bürojob zusammenhängen könnte, der bewegungsarmer ist als Fingeryoga.
Im Wald dagegen, ist Raum für Entfaltung und Gefühle. Neue Perspektiven tun sich auf, Ideen entstehen wie von selbst. Und manchmal spüre ich, dass das, was mich gedanklich stundenlang Karussell hat fahren lassen, in Wirklichkeit ein Gefühl ist, dass gefühlt werden will. Traurigkeit oder Wut, zum Beispiel.
Mein Kopf ist nämlich richtig gut darin, mich mit Gedanken vom Kern der Sache, heißt dem Gefühl, abzulenken, als Schutz vor alten schwierigen Gefühlen und weil ich erst lernen musste, dass Gefühle zum Leben dazu gehören und ebenso vergänglich sind wie Gedanken.
3. Beeinflussung unserer Stimmung
Nach einem kurzen Spaziergang im Wald geht es mir meist besser. Die Bewegung erdet mich, besonders wenn ich zu sehr im Kopf feststecke oder versucht bin alles schwarzzusehen.
Oft entdecke ich am Wegesrand ein besonderes Detail, wie ein schönes Blatt oder einen bunten Käfer, und merke, wie ich mit meiner Aufmerksamkeit wieder im Hier und Jetzt ankomme.
Es gibt aber auch Tage, an denen funktioniert das nicht. Im Gegenteil, die Atmosphäre im Wald scheint meine schlechte Stimmung und meine Gefühle widerzuspiegeln, mitten im Grünen fühle ich mich freudlos, gedrückt, niedergeschlagen.
Wie kann das sein? Ich glaube, dass der Wald unsere Stimmung beeinflusst, im positiven wie im negativen, allerdings nur im Zusammenspiel mit dem, was wir bereits mitbringen. Wenn wir offen sind für das, was der Wald uns zu bieten hat, kann selbst ein verregneter Herbsttag unsere Stimmung heben.

4. Trost durch Beständigkeit
Ab und zu entdecke ich auf einer Wanderung einen alten großen Baum, der ein Vielfaches älter ist als ich selbst. Ehrfürchtig stehe ich dann vor ihm und stelle mir vor, was der Baum schon alles erlebt haben muss. Wie viele Winter er wohl schon überstanden hat? Und ich frage mich, wie er es schafft solch eine urige Kraft auszustrahlen.
Eine Kraft, die ich mir auch manchmal wünschen würde, gerade wenn ich traurig oder mutlos bin. In der Gegenwart solch eines Baums fühle ich mich getröstet. Er symbolisiert für mich neben Kraft und Mut auch Beständigkeit, weil er lange vor mir auf dieser Welt war und es hoffentlich auch nach mir sein wird.
Und auch wenn ich „meinen“ Baum im Wald noch nicht gefunden habe, wie eine gute Freundin von mir, empfinde ich jede Begegnung als etwas ganz Besonderes.
Einmal Wald, aber mit Gefühl bitte
Einen Sissi-Film habe ich lange nicht geschaut, aber ich bin heute regelmäßig im Wald. Was sicher die bessere Wahl ist, wenn es um den Umgang mit meinen Gefühlen geht. Nichts für ungut, Sissi.
Seit ich öfter im Grünen unterwegs bin, hat sich meine Selbstwahrnehmung verbessert, eine wichtige Voraussetzung für mich, um überhaupt bis zu meinen Gefühle vorzudringen zu können.
Ein weiterer Pluspunkt: Ein Spaziergang oder Aufenthalt im Wald sorgt meist für gute Stimmung bei mir, was mich zusätzlich anspornt auch an weniger guten Tagen rauszugehen. Denn auch dann hilft mir der Wald im Umgang mit meinen Gefühlen, indem er mir Mut und Kraft spendet, was guttut.
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