Kennst du das auch? Du fühlst dich, als ob jemand hinter dir her wäre oder du ständig auf dem Sprung sein müsstest, weil jeden Moment ein imaginäres Monster um die Ecke biegen könnte, das dich angreift. Bei mir äußert sich das durch eine permanent erhöhte Anspannung, die sich körperlich unter anderem durch verspannte Muskeln, hohen Blutdruck und Schreckhaftigkeit äußert.
Ich habe das Gefühl nie richtig loslassen zu können, selbst wenn ich abends im Bett liege. Über den Kopf kann ich das nicht steuern, im Gegenteil, der steuert meist seinen Teil bei, indem er mich mit kritischen Gedanken so lange quält bis ich völlig k.o. bin. Umso wichtiger ist es die Zeichen für Entspannung zu kennen.
Was Anspannung mit Trauma zu tun hat
Ein Trauma konfrontiert uns mit einem Ereignis, das unsere Verarbeitungskapazitäten übersteigt, weil die damit verbundenen Gefühle wie Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit als so überwältigend empfunden werden, dass wir zwar instinktiv die Situation verlassen wollen, es aber aus welchen Gründen auch immer nicht können.
Was instinktiv einsetzt ist unser Kampf-oder-Flucht-Modus, der von unserem vegetativen Nervensystem gesteuert wird, das vereinfacht dargestellt aus Sympathikus (Anspannung) und Parasympathikus (Entspannung) besteht. Die Anspannung bereitet uns auf Kampf oder Flucht vor, die Entspannung sorgt dafür, dass wir, sobald die Gefahr vorüber ist, wieder zum Alltag zurückkehren können. Ist Kämpfen oder Fliehen nicht möglich, setzt der Totstellreflex ein, der uns erstarren lässt, in der Hoffnung dadurch zu entkommen.
Unser System ist so ausgelegt, dass die Anspannung zeitnah von Entspannung abgelöst wird. Weil ein Trauma unsere Verarbeitungskapazitäten aber sprengt, kann die verbundene Anspannung nicht wie geplant abgebaut werden und bleibt im Körper in Form eines erhöhten Stresslevel stecken. Als Folge kommt es bei Betroffenen unter anderem zu Übererregungssymptomen wie Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen und Nervosität, die mit einer erhöhten Wachsamkeit (Hypervigilanz) einhergehen können.
Schon gewusst? Tiere zittern oder schütteln sich um überschüssigen Stress loszuwerden während wir Menschen gelernt haben diesen Reflex zu unterdrücken. Es gibt aber Übungen, sogenannte Tension & Trauma Releasing Exercises (TRE), mit denen wir es wieder lernen können.
Entspannung unmöglich?
Selbst Jahre nach dem Auftreten eines Traumas versucht der Körper selbst die Situation abzuschließen und im vegetativen Nervensystem wieder ein Gleichgewicht herzustellen. Ob es ihm gelingt den gespeicherten traumatischen Stress abzubauen, hängt auch davon ab, wie wir mit unserem Körper umgehen.
Solange wir versuchen, das Thema Anspannung rein rational anzugehen, zum Beispiel indem wir zur Entspannung Yoga machen, Meditieren oder intensiv Sport treiben, riskieren wir, dass wir dies tun, ohne dabei wirklich unseren Körper wahrzunehmen. Nicht ohne Grund: Zusätzlich zum Stress sind auch alte Gefühle, Emotionen und Erinnerungen in unserem Körpergedächnis abgelegt, die es uns schwer machen können die Anspannung abzubauen.
Meiner Erfahrung nach kann Traumaheilung nur über eine behutsame Einbeziehung des Körpers gelingen. Indem wir lernen ihn nicht länger als fremd oder angsteinflößend wahrzunehmen, sondern als wichtigen Verbündeten im Heilungsprozess. Es hat mich zwanzig Jahre gekostet das zu erkennen, denn in all den Jahren ging es mir trotz Psychotherapie nicht wirklich besser. Die Symptome blieben bestehen. Bis ich durch die Beschäftigung mit dem Thema Trauma auf den körperorientierten Therapieansatz Somatic Experiencing stieß, der mein Leben grundlegend veränderte.
Über den Körper zur Entspannung finden
Dieser körperorientierte Therapieansatz fokussiert auf der körperlichen Reaktion, die mit einem Trauma verknüpft ist. Ziel ist es, dass vegetative Nervensystem, das durch das Trauma aus dem Gleichgewicht geraten ist, wieder besser regulieren zu lernen und dadurch den im Körper gespeicherten traumatische Stress in kleinen Schritten abzubauen.
Laut dem Verein Somatic Experiencing Deutschland e.V., der sich mit Aufklärung, Qualitätssicherung und Vermittlung von Experten zu der Methode befasst, basiert die Arbeit von Somatic Experiencing auf
- dem Spüren von Körperempfindungen- und implusen,
- der Nutzung von individuellen Ressourcen,
- dem wechslenden Fokus auf Ressourcen und Traumaspuren,
- unterschiedlichen Übungen zur Erdung und Zentrierung sowie
- dem Einbeziehen von Körperimpulsen im therapeutischen Gespräch.
Wichtig ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, langsam und in kleinen Schritten vorzugehen, um den traumatischen Stress behutsam aufzulösen.
Entspannung wahrnehmen lernen
Für mich war es sehr wichtig Unterschiede in meinem Anspannungsmuster wahrnehmen zu lernen. Denn auch das, was wir im Alltag tun, hat einen Einfluss auf unser Stressempfinden. Steht ein wichtiges Meeting bei der Arbeit an, bei der wir im Mittelpunkt stehen, nimmt automatisch unsere innere Spannung zu und unser Stresslevel steigt. Nach einem ausgedehnten Spaziergang in der Natur hingegen fühlen wir uns meist ausgeglichen und erholt.
Mit ein wenig Übung können wir diese Veränderungen auch in unserm Körper spüren und die Zeichen von Entspannung besser wahrnehmen, denn bei Stress steigt zum Beispiel die Spannung in den Muskeln, während wir erst wieder das Bedürfnis nach Essen oder Trinken spüren wenn wir zur Ruhe kommen.

7 Zeichen, an denen du körperliche Entspannung erkennst
Um festzustellen, ob du auf dem Weg der Entspannung bist, kannst du die folgenden sieben Zeichen als Anhaltspunkte nutzen:
1. Du gähnst einmal oder mehrmals hintereinander
Klar, das kann auch ein Zeichen sein, dass du einfach nur müde bist. Aber wenn du gerade eine stressige Autofahrt oder ein wichtiges Vorstellungsgespräch hinter dich gebracht hast, zeigt dir Gähnen in der Regel eher Entspannung an.
2. Du seufzt vor Erleichterung
Alles gut gegangen, du bist sicher, will dein Körper dir damit sagen. Vielleicht hast du gerade eine erlösende Nachricht erhalten oder endlich die Lösung für dein Computerproblem gefunden, egal, jetzt ist entspannen angesagt.
3. Du beginnst tiefer auszuatmen
Wenn wir unter Anspannung stehen, verkrampft sich auch unsere Atmung. Statt tief in den Bauch atmen wir flach. Falls du also, ohne es dir bewusst vorzunehmen, anfängst tiefer auszuatmen, ist das ein sicheres Zeichen für Entspannung.
4. Du spürst, wie sich deine Muskeln entkrampfen
Im Kampf-oder-Flucht-Modus sind wir bereit zu reagieren. Ohne zu zögern, muss genug Energie verfügbar sein, um uns zu verteidigen oder aus der Gefahrenzone bringen zu können. Entspannen sich die Muskeln, signalisiert dir der Körper, dass er in den Ruhemodus übergeht, wo keine Gefahr mehr droht.
5. Du hörst ein Knurren oder Blubbern im Bauch
Je nachdem ob du gerade allein zu Hause oder mit Freunden unterwegs bist, kann das ziemlich unangenehm sein. Wer kennt das nicht? Andererseits ist es völlig normal, dass der Körper diese Geräusche von sich gibt, denn unsere Verdauung funktioniert nun mal nur wenn wir entspannt und in Sicherheit sind.
6. Du merkst, dass sich dein Kopf klarer und freier anfühlt
Eben war noch alles chaotisch in deinem Kopf, doch jetzt spürst du, wie sich die Wogen glätten und dein Denken ruhiger wird. Für mich fühlt es sich oft an als ob ein Schleier vor meinen Augen weggenommen wird und ich alle Farben und Formen in meiner Umgebung plötzlich wieder deutlicher sehen kann.
7. Du spürst, dass sich dein Körper schwerer anfühlt
Wenn du sitzt, merkst du vielleicht wie du tiefer einsinkst und mehr Gewicht an den Stuhl oder Sessel abgeben kannst, wenn du liegst, spürst du verstärkt die Stellen, wo dein Körper mit dem Untergrund in Kontakt ist. Zugegeben, das erfordert ein wenig Übung. Aber wenn du spürst, dass sich dein Körper schwerer anfühlt, bist du mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem besten Weg zur Entspannung.
Und, kommt dir eines der Zeichen bekannt vor?
Vielleicht hast du ja Lust bekommen öfter mal „hinzuspüren“ und zu entdecken, was dein Körper dir eigentlich sagen will. Anspannung abzubauen ist für Menschen mit Trauma eine echte Herausforderung. Wenn wir unseren Körper spüren lernen, können wir auch lernen die Zeichen von Entspannung wahrzunehmen. Und Stück für Stück mehr bei uns selbst und in unserem Körper ankommen.
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