Sensibel, verletzlich – und oft in inneren Konflikten
Hochsensible Menschen (HSP), die zusätzlich ein frühes Trauma erlebt haben, stehen oft vor besonderen Herausforderungen, wenn es um Konflikte geht. Nicht selten fühlen sie sich innerlich hin- und hergerissen: einerseits der Wunsch nach Nähe und Harmonie, andererseits das Bedürfnis nach Selbstschutz und Abgrenzung.
Dazu kommen die Erfahrungen aus Kindheit und Herkunftsfamilie, die unser Verhalten auch als Erwachsene häufig noch stark beeinflussen. Vielleicht haben wir nie gelernt angemessen mit Konflikten umzugehen oder Angst davor, weil wir die Reaktionen unserers Gegenübers fürchten oder die Gefühle, die im Eifer des Gefechts hochkommen können.
Das daraus resuliterende Spannungsverhältnis entsteht häufig aus tief verwurzelten Prägungen, die durch frühe Erfahrungen enstanden sind – und die im Alltag manchmal unbewusst zu Konfliktverhalten führen können.
In diesem Beitrag erfährst du, welche Prägungen und Prinzipien bei HSP mit Trauma durch Konflikte angestoßen werden können und wie du besser damit umgehen lernst.
Welche Prinzipien können Konflikte für HSP mit frühem Trauma verstärken?
1. Der Wunsch nach Anerkennung um jeden Preis
In vielen Bindungsgeschichten lernen wir, dass wir geliebt werden, wenn wir „funktionieren“, uns anpassen oder Leistung erbringen. Dadurch entsteht der Druck, Konflikte zu vermeiden, um die Harmonie nicht zu gefährden. Gleichzeitig kann das zu unterdrückter Wut führen, die irgendwann unerwartet herausbricht.
Wenn du mehr über Wut wissen willst, empfehle ich meine Artikel 7 Gründe, warum ein Bindungstrauma zu Wut im Erwachsenenalter führen kann und Warum Trauma und Wut zusammenhängen.
Extra-Tipp: Wenn du mehr über den Zusammenhang von Hochsensibilität und Bindungstrauma wissen willst, dann findest du Antworten auf grundlegende Fragen dazu auf der Seite Hochsensibilität und Bindungstrauma.
2. Vermeidung von Verletzlichkeit
Ein Bindungstrauma macht es oft schwer, Schwäche oder Bedürfnisse zu zeigen – aus Angst vor Ablehnung oder erneuter Verletzung. Das führt manchmal zu Rückzug oder sogar zu aggressiven Abwehrhaltungen, wenn man sich bedrängt fühlt. Um bloß den alten Schmerz von früher nicht zu triggern, der noch in uns schlummert.
Wie sich das zeigen kann:
- Obwohl du gerne nach Hause möchtest, bleibst du noch auf der Party.
- Du reagierst wütend, obwohl der andere dich nur etwa gefragt hat.
- Deine Gefühle hälst du unter Verschluss – auch vor dir selbst.
3. Perfektionismus und Kontrollbedürfnis
Die Überforderung durch innere Unsicherheiten wird oft durch den Versuch kompensiert, die Kontrolle über Situationen in unserem Leben zu behalten.
Sei es bei der Planung von Terminen, der Entscheidung für eine teure Anschaffung oder der Dauer des anstehenden Familienbesuchs. Im Konflikt kann das zu starren Positionen und Schwierigkeiten beim Finden von Kompromissen führen.
Wie sich das zeigen kann:
- Du sitze stundenlang vor einem kurzen Brief an das Finanzamt.
- Bevor du nicht sämtliche Optionen verglichen hast, trifft du keine finale Entscheidung.
- Du würdest gerne Dinge regeln, die gar nicht in deiner Verantwortung liegen.
4. Überverantwortung für die Gefühle anderer
Hochsensible (HSP) mit frühem Trauma übernehmen oft die Gefühle anderer Menschen und fühlen sich verantwortlich, diese zu „retten“. Was natürlich nicht funktioniert, aber oft eine unausgesprochene Überzeugung darstellt. Dadurch stellen sie ihre eigenen Bedürfnisse zurück, was langfristig großen Frust und unausgesprochene Konflikte fördern kann.
Wie sich das zeigen kann:
- Du möchtest jemand Frust ersparen und übernimmst seine Aufgaben.
- Statt bei dir zu bleiben, fühlst du mit anderen mit – mehr als es angebracht wäre.
- Deine Wünsche fallen häufig hinten runter, weil du dich zuerst um andere sorgst.

Wie kannst du besser mit diesen Prinzipien umgehen?
Nachfolgend habe ich für dich ein paar Anregungen und Impulse zusammengestellt, die dir als hochsensiblem Menschen (HSP) mit frühem Trauma helfen können besser mit Konflikten und deren Ursache umzugehen.
1. Selbstreflexion und Bewusstwerdung
Der erste Schritt ist zu erkennen, welche inneren Prinzipien bei dir wirken. Schreibe dir Situationen auf, in denen Konflikte entstehen, und hinterfrage, welche Ängste, Glaubenssätze oder Muster dahinterstecken.
Hier kann auch eine traumasensible Begleitung hilfreich sein, die gemeinsam mit dir auf deine Geschichte schaut und für mehr Klarheit und Verständnis sorgt.
2. Nervensystem regulieren
Konflikte aktivieren das Nervensystem. Sanfte Atemübungen, kurze Pausen oder Naturkontakte können helfen, das Stresslevel zu senken, bevor du reagierst. Das schafft Raum für bewusstes Handeln.
Was hilfreich sein kann:
- Sich bewusst zurückziehen und um eine Pause bitten – schafft sanft Abstand.
- Dich erden, um dich wieder mehr im Hier und Jetzt zu verankern.
- Ein paar tiefe Atemzüge, ein Klassiker bei der Selbstregulation.
3. Kommunikation üben
Lerne, deine Bedürfnisse klar und liebevoll auszudrücken – ohne Angst vor Ablehnung. „Ich-Botschaften“ („Ich fühle mich…, wenn…“) sind ein guter Start. Das stärkt deine Selbstwahrnehmung und reduziert Missverständnisse. Fang klein an. Und gibt dir Zeit, denn die unsere alten Muster und Prägungen lassen sich nicht über Nacht auflösen.
4. Grenzen setzen lernen
Es ist wichtig, dass du deine Grenzen kennst und respektierst. Was gerade als hochsensibler Mensch wichtig ist, um gutes Energiemanagement betreiben zu können. Sanftes Nein sagen schützt dich vor Überforderung und bewahrt deine Ressourcen. Kann aber trotzdem herausfordernd sein, weil alte Verlustängste getriggert werden. Was du vermutlich kennst, wenn du wie ich mit den Auswirkungen eines Bindungstraumas lebst, worüber ich in meinem Buch „Liebe Nerven, jetzt entspannt euch mal!“ berichte.
5. Natur als Kraftquelle nutzen
Regelmäßige Naturzeit hilft dir, dich zu erden und Stress abzubauen. Das macht es leichter, bei Konflikten zentriert zu bleiben und aus einer sicheren inneren Haltung heraus zu handeln. Mehr zum Thema Trauma und Natur findest du unter Wissen.
Wenn du wissen willst, wie der Wald dich im Umgang mit Gefühlen unterstützen kann, dann empfehle ich dir meinen Beitrag Waldgefühle: Wie der Wald auf meine Gefühle wirkt, in dem ich meine Erfahrungen festgehalten habe.
6. Professionelle Begleitung suchen
Manchmal reichen Tipps und Selbsthilfe nicht aus. Eine traumasensible Begleitung kann dir helfen, tiefere Muster zu verstehen und nachhaltig zu heilen.
Extra-Tipp: Du vermutest, dass du auch hochsensibel und von einem frühen Trauma betroffen sein könntest? Finde jetzt mit meinen beiden Selbstests heraus, ob Hochsensibilität und Bindungstrauma eine Rolle in deinem Leben spielen könnten – kostenlos und ohne Registrierung oder Anmeldung.
Fazit: Du darfst Konflikte neu erleben – in deinem Tempo
Konflikte gehören zum Leben – aber wie wir sie erleben, ist zutiefst geprägt von unserer Geschichte. Für hochsensible Menschen (HSP) mit frühem Trauma sind Konflikte und Auseinandersetzungen oft keine neutralen Situationen, sondern emotionale Ausnahmezustände.
Der Wunsch nach Harmonie trifft auf das Bedürfnis nach Sicherheit. Nähe kann sich plötzlich wie eine Bedrohung anfühlen. Rückzug wird zur einzigen vermeintlichen Lösung.
Was auf den ersten Blick wie „Überempfindlichkeit“ wirken mag, ist in Wahrheit ein kluges, erlerntes Schutzverhalten. Dein System versucht, dich zu bewahren – vor Ablehnung, Verletzung, Entwertung. Das verdient Mitgefühl, nicht Bewertung.
Muster dürfen sich verändern – Schritt für Schritt, in deinem Tempo
Doch du bist nicht für alle Ewigkeit an dieses Muster gebunden. Wenn du beginnst, die dahinterliegenden Prinzipien zu erkennen und achtsam zu begleiten, entsteht Raum für Veränderung. Du musst nicht sofort „funktionieren“ oder alles richtig machen – vielmehr darfst du dich in kleinen, sicheren Schritten deinem Inneren annähern.
Hilfsmittel wie bewusste Selbstregulation, Kommunikation in Ich-Botschaften, gesunde Grenzen und Rückverbindung mit der Natur können dich dabei liebevoll unterstützen. Sie helfen dir, wieder Kontakt mit deinem Nervensystem, deinen echten Bedürfnissen und deinem eigenen Rhythmus zu finden.
Konflikte werden dadurch nicht verschwinden – aber du wirst lernen, dich in ihnen nicht zu verlieren. Mehr noch: Du wirst erleben, dass es möglich ist, für dich einzustehen, ohne dich zu schützen müssen – weil du es heute kannst.
Konflikte müssen kein Ausnahmezustand mehr sein
In einem geschützten Raum darfst du lernen, wie du dich selbst inmitten von Spannung nicht verlierst – und dich dabei sicher und gesehen fühlst.