Die Natur als Therapeutin

  • Beitrags-Kategorie:Natur / Trauma
  • Beitrag zuletzt geändert am:April 28, 2024
Du betrachtest gerade Die Natur als Therapeutin

Lieber in die Natur als zur Therapie?

Reden ist nicht alles. Schon gar nicht in einer Therapie. Diese Erkenntnis zu erlangen hat mich Jahres meines Lebens gekostet. Jahre, in denen ich stets hoffte, durch Reden zum Kern meiner Probleme durchzudringen.

Aber erst als ich ein Bewusstsein für meine Körperempfindungen entwickelte und lernte in meinen Körper hineinzuspüren, begann sich etwas in meinem Leben zu verändern.

Wenn ich in der Natur war, spürte ich plötzlich, dass sich allein durch meinen Aufenthalt eine körperliche Veränderung einstellte: Ich fühlte mich aufgeräumter, ruhiger, manchmal auch beschwingter und motivierter, fast immer entspannter als vorher.

Ist die Natur also tatsächlich die bessere Therapeutin? Warum das in gewisser Weise tatsächlich so ist, erfährst du in diesem Beitrag.

Keine Fragen

Kennst du das auch? Du erzählst in einer Therapiestunde von einem Problem und zack, schon wirst du mit Fragen bombardiert: Wie lange ist das schon so? Wie beeinflusst es Ihren Alltag? Was glauben Sie, was steckt dahinter? Was macht das mit Ihnen? Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Die Folge: Du fühlst dich unter Druck gesetzt, bekommst vielleicht sogar ein schlechtes Gewissen, weil du das Thema überhaupt angesprochen hast, aber besser geht es dir erst mal nicht.

In der Natur ist das anders, denn die Natur stellt keine Fragen. Im Gegenteil: Manchmal hält sie sogar Antworten für dich bereit, wenn du dich im Kontakt mit ihr öffnen und auf ihre Wirkung einlassen kannst. Das liegt daran, dass dein Körper und dein Nervensystem in Resonanz mit der Natur gehen und die Natur deinen emotionalen und körperlichen Zustand beeinflussen kann, was sogar wissenschaftlich belegt ist.

Bedingungslose Akzeptanz

Wer traumatische Erfahrungen im Gepäck hat, dem kann es schwer fallen sich angenommen und gesehen zu fühlen. Auch in einer therapeutischen Beziehung. Zwischenmenschlicher Kontakt aber auch bestimmte Situationen können angstbesetzt sein, was mit fehlender Sicherheit und mangelnder Erdung einhergeht. Beides Dinge, die wir brauchen, um mit uns selbst in Kontakt zu kommen und uns ausgeglichen zu fühlen.

Hier kommt wieder die Natur in Spiel, denn die Natur als Therapeutin kann uns durch ihre bedingungslose Akzeptanz dabei helfen uns zu erden und sicher zu fühlen. Durch ihre ruhige Präsenz bietet sie uns eine Art Reflexionsfläche für unsere Gefühle und Gedanken, die sich dadurch zeigen und auch verändern können.

So können traumatisierte Menschen in der Natur positive Erfahrungen machen, auch wenn sich die bedingungslose Akzeptanz der Natur natürlich anders anfühlt als die Akzeptanz, die uns ein wohlwollender Mensch entgegenbringt.

Die Natur ist ein guter Ort, um unsere Natürlichkeit wiederzufinden.
Ernst Ferstl

Zeigen wie Veränderung funktioniert

Wenn wir in schier endlos erscheinenden Grübelschleifen festhängen oder uns mal wieder zu nichts aufraffen können, kann es auch in einer Therapie schwer fallen uns davon zu überzeugen, dass dieser Zustand vorübergeht. Er fühlt sich wie ein tonnenschweres Bleigewicht an, das wir am Fuß mit uns herumschleppen. Auch wenn wir aus Erfahrung wissen sollten, dass Aufs und Abs zum Leben gehören.

Hier kann uns die Natur als Therapeutin helfen, indem sie uns zeigt wie Veränderung funktioniert: Angefangen vom stetigen Wechsel der Jahreszeiten, über die individuelle Anpassung von Pflanzen, Bäumen und Tieren an ihre jeweilige Nische bis zu den Gezeiten, die mit einem beständigen Kommen und Gehens des Wassers verbunden sind.

Was wir also von der Natur lernen können, ist, dass Veränderungen Zeit und Geduld brauchen, sich in der Regel von alleine einstellen und von vielen äußeren Faktoren abhängen, auf die wir oft keinen Einfluss haben.

Beständigkeit und Sicherheit

Spätestens seit Corona wissen wir alle, was Unsicherheit bedeutet. Auch danach scheinen die Unwägbarkeiten nicht weniger zu werden, täglich erreichen uns neue Hiobsbotschaften, lesen wir von Katastrophen oder Unglücken und fragen uns, wie das alles weitergehen soll. Dabei wünschen wir uns eigentlich nichts sehnlicher als Sicherheit und Beständigkeit.

Zwei Eigenschaften, die wir in der Natur als Therapeutin finden. Bäume, zum Beispiel, haben eine viel längere Lebenszeit als wir Menschen, sie waren vor uns auf der Erde und werden (hoffentlich) lange nach uns auf dieser Welt sein. Auch ihr Stamm symbolisiert Beständigkeit. Wir können uns an ihn anlehnen oder ihn mit den Armen umfassen und seine Stärke spüren. Auch die Farben der Natur haben eine ganz besondere Wirkung: Grün steht für Sicherheit, Ruhe und Kreativität, mit der Farbe Braun assoziieren wir Erdung und Stabilität.

Alter knorriger Baum mit dichten grünen Blättern und mehreren Ästen - Naturing Myself- Die Natur als Therapeutin
Sinnbild für Stabilität: Alter knorriger Baum mit dicken verzweigten Ästen

Zurück zum Ursprung

Viele Errungenschaften, von denen wir heute profitieren, sei es Tools für Online-Therapie, Selbsthilfe-Apps oder Videosprechstunden scheinen unseren Alltag auf den ersten Blick zu erleichtern. Bei genauer Betrachtung wird allerdings klar, dass sie auch für eine Überreizung unseres Nervensystems sorgen können, uns unter Druck setzen technisch auf der Höhe der Zeit zu bleiben und die Illusion vermitteln menschlichen Kontakt ersetzen zu können. Was also tun?

Das Stichwort lautet „Back to the roots“. Da wir selbst ein Teil der Natur sind, ist auch die Wirkung der Natur auf uns Menschen eng mit unserer Herkunftsgeschichte verknüpft. So wirken beispielsweise savannenartige Landschaften wie Streuobstwiesen entspannend auf unser Nervensystem, weil sich schon unsere Vorfahren dort sicher gefühlt haben, da sie Gefahren besser im Blick hatten. Statt unseres Smartphone sollten also öfter mal die Natur als Therapeutin in Betracht ziehen.

Fazit: Natur als Ressource nutzen

Natürlich kann ein Aufenthalt in der Natur keine Psychotherapie ersetzen. Als soziale Wesen brauchen wir andere Menschen, um uns zu regulieren und wahrgenommen und gesehen zu fühlen, zwei Grundbedürfnisse, die gerade bei früh traumatisierten Menschen oft nur unzureichend erfüllt wurden.

Dennoch kann der Kontakt mit der Natur für uns zu einer wichtigen Ressource werden, denn die Natur stellt keine Fragen und nimmt uns wie wir gerade sind, sie schenkt uns durch ihre besondere Atmosphäre bedingungslose Akzeptanz, macht uns vor, wie Veränderung funktioniert, symbolisiert auch in turbulenten Zeiten Beständigkeit und Sicherheit und hilft uns wieder zurück zu unserem Ursprung zufinden.

Wenn wir es schaffen, wieder in Verbindung mit der Natur zu kommen, kommen wir auch wieder ein Stück mehr mit uns selbst in Kontakt. Wir können uns für Veränderungen öffnen, unsere Wahrnehmung trainieren und lernen mehr im Hier und Jetzt zu sein. Und das ganz ohne Reden.

Neugierig geworden?

Mehr zur Natur als Ressource, zum Zusammenhang von Trauma und Natur und zu naturbasierter Achtsamkeit findest du zum Weiterlesen im Bereich Wissen.

Schreibe einen Kommentar