Stress reduzieren mit Selbstberührung

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Selbstberühung gegen Stress

Klingt erst mal merkwürdig, das gebe ich zu. Und könnte missverständlich sein, denn mit Selbstberührung zum Abbauen von Stress ist nicht das gemeint, was du jetzt vielleicht denkst. Statt um Sex geht es um unser Grundbedürfnis nach Berührung.

Schon Babys sind darauf angewiesen, benötigen Kontakt, um sich regulieren zu lernen. Denn das durch Berührung freigesetzte Hormon Oxytocin entspannt und beruhigt. Kein Wunder, dass Berührung oder eben auch Selbstberührung für gestresste Erwachsene wichtiger ist denn je. Erst recht, für Menschen mit Bindungstrauma oder Entwicklungstrauma.

Was achtsame Selbstberührung ist und wie du damit Stress reduzieren kannst, erfährst du in diesem Beitrag.

Gesichtsbehandlung mal anders

Bis zu 800-mal pro Tag berühren wir unser Gesicht. In der Regel, ohne es überhaupt zu merken. Um herauszufinden, was der Grund dafür ist, haben Wissenschaftler Studien durchgeführt, bei denen unsere Hirnaktivität gemessen wurde. Das Ergebnis: Unser Hirnaktivität unterscheidet sich vor und nach einer spontanen Selbstberührung im Gesicht.

Durch die Berührung werden die Bereiche aktiviert, die für die Stabilisierung von Emotionen und das Arbeitsgedächnis verantwortlich sind. Aber nur dann, wenn die Selbstberührung spontan und nicht willentlich erfolgt.

Laut Prof. Dr. Martin Grunwald von der Universität Leipzig, der zu dem Thema forscht und ein Interview dazu gegeben hat, sind spontane Selbstberührungen Regulationsprozesse unseres Körpers, die aufgrund eines akuten Bedarfs nach Stressausgleich durchgeführt werden. Eine willentliche Unterbindung führt zu Stress, der unbewusst wieder nach Selbstberührung verlangt. Die spontane Selbstberührung dient also dem Ausgleich von Stress.

Zwar wurde der Effekt nur für die spontane Selbstberührung belegt, aber das bedeutet nicht, dass Selbstberührung ansonsten wirkungslos ist. Denn auch in verschiedenen Therapie- und Entspannungsmethoden kommt achtsame Selbstberührung zum Einsatz.

Warum Berührung wichtig ist

Und das nicht ohne Grund, denn wir brauchen Körperkontakt, um uns wohlzufühlen. Bei einer Berührung werden über die Haut Signale an unser Gehirn geschickt, die bewertet werden. Sanfte, langsame Berührungen, die mit Hautwärme verbunden sind, werden als angenehm eingestuft und führen dazu, dass das Glückshormon Oxytocin ausgeschüttet wird. Gleichzeitig werden Stresshormone abgebaut und der Körper entspannt sich.

Schon gewusst? Sanfte, langsame Berührungen können bei Babys das Schmerzempfinden positiv beeinflußen und ähnlich gut wirken wie äußerlich angewandte Schmerzmittel.

Entspannung trotz Trauma?

Wenn wir ein Trauma erlebt haben, fällt es uns oft schwer zu entspannen. Wir sind im Kampf-oder-Flucht-Modus gefangen, ständig auf der Hut, angespannt. Weil der Stress, der mit dem Trauma verbunden war, noch immer in uns ist. Genauer gesagt in unserem Körper.

Auch unser Verhältnis zum Körper kann belastet sein, da wir entweder nicht gelernt haben ihn zu spüren oder weil er für uns mit unguten Erinnerungen und Gefühlen von früher verknüpft ist.

So ging es mir zumindest. Bis ich eine körperorientierten Traumatherapie angefangen habe, dachte ich mein Leben spielt sich in meinem Kopf ab. Ich hatte weder eine gute Körperwahrnehmung noch ein wertschätzendes Verhältnis zu meinem Körper. Sämtliche körperliche Regungen, seien es Schmerzen, Zuckungen oder Verspannungen versetzten mich sofort in Angst und Panik und ich wusste nicht, wie sich mein Körpers anfühlt. Ganz zu schweigen Entspannung.

Lieber Abstand statt Anstand

Auch mein Verhältnis zu Kontakt und Berührung ist bis heute schwierig: Ich mag zwar Massagen und Osteopathie, was beides mit direktem Körperkontakt verbunden ist, doch in zwischenmenschlichen Beziehungen bleibe ich lieber auf Distanz, zumindest am Anfang. Und ich hasse es im Zug oder Flugzeug unfreiwillig auf Tuchfühlung mit wildfremden Leuten gehen zu müssen.

Tipp: Hast du auch ein Problem mit Kontakt und Berührung? Vielleicht gibt es eine Erklärung dafür. So war es bei mir. Für Menschen mit Bindungstrauma ist das Thema mit Bedürfnis und Angst gleichermaßen verknüpft, was verwirrend sein kann. Mir hat es geholfen das herauszufinden und mir Unterstützung zu suchen.

Was die Wissenschaft weiß

Das deckt sich auch mit Studienergebnissen eines Teams von Forschern des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Ruhr-Universität Bochum, die feststellten, dass Erwachsene, die als Kinder traumatisiert wurden, möglicherweise eher einen größeren körperlichen Abstand zu Fremden halten und Berührungsreize als weniger beruhigend empfinden als Menschen ohne Trauma.

Als Ursache wurde eine veränderte Reizverarbeitung in bestimmten Gehirnregionen ermittelt, die mit Hilfe von MRT-Aufnahmen festgestellt wurde. Das Ergebnis könnte laut den Forschern eine Chance für neue ergänzende körperbasierte Therapien bieten, die helfen die Reizverarbeitung von traumatisierten Erwachsenen neu zu trainieren.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch eine Untersuchung, die berührungsbasierte Interventionen identifizierte, die aktuell in der Behandlung von Erwachsenen mit den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) eingesetzt werden. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler deuten an, dass eine berührungsbasierte Behandlung eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der emotionalen Regulierung und bei der Verringerung von PTBS-Symptomen wie Unruhe, Reizbarkeit und Schlafstörungen spielen könnte.

Schritt für Schritt zu mehr Selbstregulation - Naturingmyself - Selbstberührung gegen Stress
Schritt für Schritt zu mehr Selbstregulation: Selbstberührung als Ressource

Meine Erfahrungen

Das eine berührungsbasierte Behandlung hilfreich sein kann, habe ich selbst in der Therapie erlebt. Am Anfang war ich skeptisch, stellte aber schnell fest, wie mein Körper durch die Berührung anfing sich zu entspannen. Ich hatte das Gefühl in meinem Körper anzukommen. Insbesondere bei schwierigen Themen fühlte ich mich durch den Kontakt weniger allein.

Wichtig war, dass ich selbst die Art und die Stärke der Berührung bestimmen konnte. So lernte ich was mir gut tut. Und an welchen Stellen ich den Kontakt als hilfreich empfinde. Das klappte nicht von heute auf morgen, sondern brauchte Zeit.

Irgendwann merkte ich, dass meine eigene achtsame Selbstberührung bei Stress ähnlich wirkt. Inzwischen nutze ich achtsame Selbstberührung zur Selbstregulation in Situationen, wo ich mich gestresst fühle oder auch um Stress vorzubeugen. Achtsame Selbstberührung hilft mir meine Körperwahrnehmung zu schärfen, mich selbst zu beruhigen und achtsam zu sein.

Die Berührung ist das Fundament jeder Beziehung, der Beziehung zu anderen und zu sich selbst.
Emmi Pickler

3 Wege, um achtsame Selbstberührung zu üben

In Zeiten von Corona ist Kontakt und Berührung für viele von uns schwieriger geworden, nicht nur für traumatisierte Menschen. Wie können wir achtsame Selbstberührung nutzen, um besser mit uns in Kontakt zu kommen? In einem Artikel auf dem amerikanischen Gesundheitsportal „healthline.com“ habe ich die folgenden drei Tipps gefunden:

1. Berührung nutzen, um wahrzunehmen was ist

Wenn du eine körperliche Anspannung spürst, kannst du eine Hand auf den Bereich legen, der angespannt ist, oder den Bereich behutsam über den Atem erkunden, wenn sich das gut für dich anfühlt. Anschließend nimmst du achtsam alle Empfindungen, Gedanken, Bilder oder Gefühle wahr, die in dem Moment im Körper auftauchen. Ohne sie zu bewerten. Oft stellt sich so ein Gefühl der Erleichterung oder Entspannung ein, da etwas da sein darf was ohnehin da ist.

2. Selbstmassage, um Spannungen abzubauen

Selbstmassage kann ein wirksames Mittel sein, um Verspannungen zu lösen. Wenn ich zum Beispiel Verspannungen an meinem Kopf feststelle, massiere ich die betroffenen Stellen mit meinen Fingern. Oft entspannt sich dann zusammen mit dem Kopf auch der Rest meines Körpers. Wichtig ist, zu experimentieren, also vorsichtig zu beginnen und erst bei Bedarf mehr Druck auszuüben.

3. Berührungen zur Unterstützung nutzen

Es geht darum die Bereiche im Körper zu finden, an denen sich Berührung als hilfreich erweisen könnte. Wenn ich beispielsweise vor einem wichtigen Termin aufgeregt bin und Herzklopfen habe, kann ich meine Hand auf mein Herz legen, um mich selbst zu beruhigen. Sollten sich beim Erkunden des Körper unangenehme Erinnerungen oder Gefühle zeigen, ist es wichtig, sie zwar wahrnehmen aber sich nicht auf sie zu fokussieren.

In Holz geritztes Herz in einem Holzpfahl am Nordstrand auf der Insel Norderney - Naturingmyself - Selbstberührung gegen Stress
Strandherz als Erinnerung: Selbstberührung stärkt unser Wohlbefinden

5 Übungen, um durch Selbstberührung Stress zu reduzieren

Die folgenden Übungen nutze ich regelmäßig und bin begeistert, wie einfach aber effektiv sie sind. Vielleicht ist etwas passendes für dich dabei?

1. Ohren massieren

Wozu: Entspannung

Wie: Massiere mit deinen Fingerspitzen sanft die Ohrmuschel und das äußere Ohr. Am besten von oben nach unten. Den äußeren Rand kannst du vorsichtig durchkneten. Zum Schluss reibst du die Stelle vor und hinter dem Ohr.

Durch diese einfache Maßnahme wird Stress abgebaut, das Gehirn beruhigt und wir können besser entspannen.

2. Sich selbst umarmen

Wozu: Beruhigung und Stabilisierung

Wie: Fasse mit gekreuzten Armen mit beiden Händen unter deine Achseln. Lass die Hände einige Minuten dort. Fühlst du dich ruhiger?

Spüre nach, was die Übung mit dir macht.

3. Hand aufs Herz

Wozu: Selbstberuhigung

Wie: Lege deine rechte Hand auf dein Herz und lass sie dort einige Minuten liegen. Beobachte, wie es dir geht und ob sich etwas an deiner Wahrnehmung verändert.

Ich mag diese Übung sehr und nutze sie zur Selbstberuhigung in Stressmomenten, beim Meditieren draußen in der Natur oder im Rahmen von Achtsamkeit. Die Hand auf dem Herzen vermittelt uns Ruhe und Sicherheit und hilft dem Körper zu entspannen.

4. Sorgen abstreifen

Wozu: Loslassen, negative Energie abschütteln

Wie: Am besten funktioniert die Übung im Stehen. Du kannst sie aber auch im Sitzen machen. Stell dir vor, dass sich überall auf deiner Kleidung Krümmel oder Staub befinden, die symbolisch für deine Sorgen stehen, die du loswerden möchtest. Nimm zuerst deine rechte Hand und streife damit ein paar Mal den linken Arm ab. Schon besser? Jetzt nimm die linke Hand, um den rechten Arm abzustreifen. Anschließend kannst du auch Brustkorb, Bauch und Beine auf die gleiche Weise abstreifen.

Spüre zum Schluss nach, wie du dich fühlst und ob es einen Unterschied zu vor der Übung gibt.

5. Schläfen klopfen

Wozu: Mit dem Körper verbinden und erden

Wie: Nimm drei oder vier Finger der rechten Hand und klopfe drei bis fünfmal auf die rechte Schläfe neben deinem rechten Auge. Wiederhole die Übung, diesmal mit der linken Hand auf der linken Schläfe neben dem linken Auge. Für einige Minuten klopfst du jetzt im Wechsel: Drei bis fünfmal rechts, drei bis fünfmal links.

Ich empfehle dir diese Übung, wenn du dich schnell und effektiv mit deinem Körper verbinden und erden willst. Sie ist wirklich simpel, aber sehr effektiv.

Heute schon selbst berührt?

Wir wissen intuitiv was uns beruhigt und nutzen dafür eine spontane Berührung unseres Gesichts. Doch auch eine absichtsvolle Selbstberührung kann sich positiv auf unser Wohlbefinden auswirken, denn Kontakt und Berührung sind wichtig für uns. Auch wenn sie traumatisierten Menschen schwerfallen, deuten Studien den positiven Effekt berührungsbasierter Behandlungen an, was ich am eigenen Körper erfahren durfte. Aber auch ohne therapeutische Behandlung können wir von achtsamer Selbstberührung profitieren. Probier es am besten gleich aus!

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