Waldbaden und Trauma
Du suchst nach einer Methode zur Entspannung, die einfach umzusetzen ist? Um im Alltag besser mit deinem Trauma umgehen zu können? Und möchtest Stress loswerden, um endlich aus dem wiederkehrenden Kreislauf aus belastenden Gefühlen und Gedanken auszubrechen? Dann könnte Waldbaden genau das richtige für dich sein.
Waldbaden ist eine aus Japan stammende Methode zur Bewältigung von Stress, bei der du mit allen Sinnen in die besondere Atmosphäre des Walds eintauchst. Du brauchst dafür nur Zeit, den Mut, dich auf etwas Neues einzulassen und Freude an der Natur.
Ohne Waldbaden habe ich inzwischen schon richtig Entzugserscheinungen. Denn der Wald und damit auch das Waldbaden helfen mir, mein Nervensystem besser, leichter und schneller zu regulieren und gleichzeitig meine Energiereserven wieder aufzufüllen.
Wenn du wissen willst, wie Waldbaden auch dir im Umgang mit Trauma helfen kann und wie du mit der Methode Stress abbauen und Entspannung fördern kannst, dann findest du in diesem Beitrag neben Basiswissen auch acht Tipps zum Ausprobieren.
Wieso ist Entspannung für Menschen mit Trauma schwer?
Entspannung braucht Sicherheit. Im Außen wie im Inneren. Das setzt voraus, dass wir zum einen tatsächlich in Sicherheit sind (was im Hier und Jetzt in der Regel der Fall ist) und zum anderen, dass wir uns auch sicher fühlen. Denn durch Denken lässt sich das Sicherheitsgefühl nicht herstellen.
Solange unser Körper in Hab-Acht-Stellung ist, also sich aufgrund einer wahrgenommenen Bedrohung auf Kampf oder Flucht vorbereitet, können wir uns nicht entspannen. Denn im Extremfall würden wir das nicht überleben. Wenig verwunderlich also, dass sich mit angespannten Muskeln, steigendem Puls und flacher Atmung kein Gefühl von Sicherheit einstellt.
Erst wenn unser System die Information erhält, dass die vermeintliche Gefahr vorüber ist, schaltet unser Körper auf Entspannung. Wir fangen an, wieder tiefer zu atmen, wir seufzen oder gähnen und fühlen, wie die vorhandene Anspannung wieder von uns abfällt.
Starke Ausschläge statt Gleichgewicht
Traumatisierten Menschen fällt das schwer, denn ihr Stresssystem ist aus dem Gleichgewicht geraten. Das bedeutet, ihr System reagiert weniger flexibel und verfügt über weniger Toleranz gegenüber Schwankungen.
Aus Anspannung wird schnell Übererregung mit Symptomen wie Angst, Panik o.ä. und aus Entspannung wird Untererregung mit Depression oder Dissoziation. Die Ausschläge sind so stark, dass sich selten ein stabiler Zustand von Entspannung einstellt.
Sicher und entspannt fühlen wir uns nämlich dann, wenn wir uns in der Mitte zwischen beiden Polen befinden, also flexibel auf innere und äußere Reize reagieren können und uns mit uns selbst und anderen verbunden fühlen.
Wie kann Waldbaden beim Abbauen von Stress helfen?
Waldbaden als Methode zur Bewältigung von Stress basiert auf der kombinierten Wirkung der Faktoren Bewegung, Atmung, Achtsamkeit und Kontakt zur Natur. Durch die Übungen beim Waldbaden werden zum Beispiel gezielt deine Sinne angeregt, was dabei hilft, vom Denken ins Fühlen zu kommen.
Wichtig ist auch die indirekte Aufmerksamkeit, auch als sanfte Faszination bezeichnet, das heißt die Fähigkeit der Natur, unsere Aufmerksamkeit zu wecken, ohne uns dabei anzustrengen. Im Wald müssen wir uns nicht wie bei der Arbeit konzentrieren, sondern wir können die Umgebung auf uns wirken lassen, was Entspannung fördert.
Außerdem fühlt sich unser System evolutionsbedingt bei einem Waldbad sicher, denn das ist der Ort, wo unsere Urahnen noch ihr Leben verbrachten. Bestimmte Teile unseres Gehirns erkennen somit auch heute noch diesen natürlichen Lebensraum als unser Zuhause wieder.
Lese-Tipp: Du willst wissen wieso Entspannung für traumatisierte Menschen schwierig ist? Dann könnte mein Beitrag „Warum Entspannung auf Knopfdruck bei Trauma nicht funktioniert“ etwas für dich sein.
Wie kann Waldbaden dir im Umgang mit Trauma helfen?
Durch das langsame Gehen beim Waldbaden wird Stress abgebaut, ganz ohne dass du etwas tun musst. Denn Bewegung fördert die Aufnahme von Sauerstoff im Blut, kurbelt den Stoffwechsel an und hilft beim Abbau von Stresshormonen. Sanfte Bewegungsübungen, als Bestandteil eines Waldbades, verstärken diesen Effekt zusätzlich. Außerdem helfen sie dabei, mehr Körperbewusstsein zu entwickeln.
Gleichzeitig basiert Waldbaden auch auf der Tatsache, dass allein die Zeit im Wald oder in der Natur bereits eine positive Wirkung auf unser Nervensystem und damit unseren Stress hat. Schon 20 Minuten Aufenthalt im Grünen sorgen für einen sinkenden Stresshormonspiegel und einen steigenden Grad der Entspannung, ganz ohne Chemie.
Die Bestandteile und Übungen eines Waldbades unterstützen dich außerdem dabei, im Hier und Jetzt anzukommen. Das ist für Menschen mit Trauma wichtig, um nicht von belastenden Erinnerungen und Bildern vereinnahmt zu werden. Auch im Umgang mit starken Emotionen kann eine bewusste Ausrichtung auf die Gegenwart hilfreich sein.
Durch sanfte Bewegung, Kontakt zur Natur und den Fokus auf die Gegenwart kann Waldbaden dir also dabei helfen, besser mit deinem Trauma zu leben und überschüssigen Stress abzubauen.
7 Tipps zum Waldbaden für Menschen mit Trauma
Damit du die Theorie direkt in der Praxis testen kannst, findest du nachfolgend sieben Tipps zum Waldbaden für Menschen mit Trauma. Sie sind als Anregung und Inspiration gedacht, die dir zeigen sollen, wie du beim Waldbaden den durch dein Trauma versursachten Stress reduzieren kannst.
1. Aktiviere deine fünf Sinne
Wir haben verlernt, wie es sich anfühlt, unsere Wahrnehmung gezielt auf einen unserer fünf Sinne zu lenken, also bewusst zu Hören, Sehen, Fühlen, Schmecken oder Riechen. Dabei ist es gerade im Wald, sich beispielsweise bewusst auf die Geräusche in der Umgebung zu konzentrieren.
Besonders gut klappt diese Fokussierung auf einen Sinn, wenn du zwischendurch auch mal die Augen schließt, denn das erleichtert die bewusste Lenkung deiner Aufmerksamkeit und hilft dir dabei, deine Wahrnehmung zu schärfen.
Durch die Aktivierung deiner fünf Sinne kommst du automatisch in die Gegenwart, daher kannst du diesen Tipp auch nutzen, um besser mit belastenden (traumatischen) Erinnerungen umzugehen.
2. Entdecke die Langsamkeit
Es gibt nichts zu erreichen beim Waldbaden. Du musst keine Aufgaben abarbeiten, Probleme lösen oder To-Dos abhaken. Wichtig ist vor allem, dass du lernst die Langsamkeit (wieder) zu entdecken. Raus aus dem Eiltempo, rein in dein persönliches Wohlfühl-Tempo.
Dafür kann es hilfreich sein, einfach mal zu schlendern. So, als hättest du alle Zeit dieser Welt. Wie fühlt sich das an? Fällt es dir leicht? Oder musst du dich überwinden, langsamer zu laufen? Deine Antwort ist ein guter Indikator dafür sein, wie gestresst du gerade bist.
Deshalb geht es beim Waldbaden darum, immer mal wieder bewusst das eigene Tempo zu reduzieren. Das hilft aus dem Stressmodus auszusteigen und das Bewusstsein dafür auch beim Körper ankommen zu lassen. Wenn du also sehr im Stress bist, versuche langsam zu gehen, ein Fuß vor den anderen zu setzen, und du wirst spüren, wie der Stress nachlässt.

3. Genieße die sanfte Faszination
Versuche beim Waldbaden eine absichtslose und offene Haltung einzunehmen. Dadurch profitierst du nämlich automatisch von der wohltuenden und regenerierenden Wirkung des Walds um dich herum, die dir Energie schenkt, ohne dass du dich dafür anstrengen musst.
Im besten Fall tauchst du tatsächlich ab in die besondere Atmosphäre des grünen Kraftorts und genießt einfach die sanfte Faszination, die vom Wald ausgeht. Es gibt zwar viel zu sehen und zu entdecken, aber du musst dich nicht darauf konzentrieren, um einen Nutzen zu erzielen.
Bei der sanften Faszination geht es darum, deine Aufmerksamkeit, ohne einen festen Fokus auf die Natur zu lenken und deinem Blick und deinen Sinnen Raum zu geben, all die Eindrücke wahrzunehmen, die sich dir bieten.
4. Erforsche das Wechselspiel aus Licht und Schatten
Alles hat zwei Seiten. Im Leben, aber auch in der Natur. Sich diese Tatsache immer wieder vor Augen zu führen, kann dir auch in schwierigen Zeiten helfen, deinen Mut und deine Hoffnung nicht zu verlieren. Denn, wo Licht ist, ist auch Schatten und umgekehrt.
Gerade der Wald eignet sich wunderbar, um das Wechselspiel aus Licht und Schatten zu erforschen. Sei es, indem du entdeckst, wie vielfältig die Formen und Gestalten der Schatten im Wald sind oder indem du dich bewusst mit Licht und Schatten eines persönlichen Themas befasst.
Sobald du “dein” Thema gefunden hast, stellst du dich bewusst eine Zeit lang an einen lichtdurchfluteten Ort im Wald, um „dein“ Thema zu reflektieren, bevor du in einen schattigen Teil wechselst. Welche zwei Seiten hat dein Thema?
In Japan, wo Waldbaden seinen Ursprung hat, gibt es sogar ein eigenes Wort für das Wechselspiel aus Licht und Schatten: Komorebi. Übersetzt bedeutet das “Sonnenlicht, das durch die Blätter der Bäume fällt.” Was aus meiner Sicht viel schöner klingt.
Wo Licht ist, muss es auch Schatten geben, und wo Schatten ist, gibt es Licht. Es gibt keinen Schatten ohne Licht und kein Licht ohne Schatten.
–C. G. Jung
5. Beobachte ein Tier
Als ich diese Übung das erste Mal gemacht habe, habe ich eine Heuschrecke auf ihrem Weg durch trockenes Gras auf einer Binnendüne verfolgt. Es war unglaublich spannend, mich mit meiner Aufmerksamkeit ganz auf das Beobachten der Heuschrecke zu konzentrieren. Durch das Eintauchen in ihre Welt haben sich damals ganz neue Perspektiven für mich eröffnet.
Neben Heuschrecken kannst du im Wald natürlich noch viele andere Tiere beobachten. Meist sind es eher die kleinen Tiere wie Ameisen, Spinnen, Käfer oder Schmetterlinge, die dir dort begegnen werden. Aber wenn du Glück hast, entdeckst du auch ein Kaninchen oder Reh.
Beim Waldbaden ein Tier zu beobachten, hilft dir dabei, im Hier und Jetzt zu sein und mit deiner Aufmerksamkeit gezielt im Außen zu bleiben. Ähnlich wie die Fokussierung auf unsere fünf Sinne trägt diese Übunng bei Menschen mit Trauma dadurch zur Stabilisierung und Erdung bei.
6. Finde deinen Lieblingsplatz
Im Umgang mit Trauma kann es hilfreich sein, sich mental einen sogenannten “sicheren Ort” zu schaffen, an den man sich bei Stress zurückziehen kann. Dieses Konzept kannst du dir auch beim Waldbaden zunutze machen, indem du dir deinen ganz persönlichen Lieblingsplatz im Wald suchst.
Ähnlich wie bei der Übung aus der Traumatherapie, solltest du dir im Wald einen Platz aussuchen, an dem du dich sicher und geborgen fühlst. Du bestimmst, wie dein Lieblingsplatz aussieht und wo er sich befindet.
Solch einen Lieblingsplatz kannst du dann nutzen, um regelmäßig Zeit dort zu verbringen oder immer mal wieder zurückzukehren. Auf die Dauer lernst du “deinen” Ort dadurch immer besser kennen, kannst Veränderungen durch Wetter oder Jahreszeiten erkunden und ihn als feste Station in dein Waldbad einbeziehen, wo du eine Weile stillsitzen und die Ruhe genießen kannst.
7. Werde kreativ
Wer sagt, dass man für Kunst immer Pinsel und Farben braucht? Der Wald und die Natur halten alles für dich bereit, um dich kreativ zu betätigen. Keine Angst, du musst dafür weder künstlerisch veranlagt oder noch begabt sein. Es braucht nur ein wenig Neugier und Mut sich einzulassen.
Du kannst zum Beispiel aus Zapfen ein Bild legen, mit Steinen eine Pyramide bauen oder aus bunten Blättern ein Mandala legen. Deiner Kreativität sind beim Waldbaden kaum Grenzen gesetzt. Wichtig ist nur, dass du dabei keine Pflanzen oder Bäume beschädigst.
Indem du kreativ wirst, kannst du deinen Gefühlen und deiner Stimmung Ausdruck verleihen, neue Ideen entstehen lassen und vom Denken ins Tuns kommen, was für das Erleben von Selbstwirksamkeit wichtig ist.
Mehr zum Thema Selbstwirksamkeit findest du in meinem Beitrag “Warum Selbstwirksamkeit für Menschen mit Trauma wichtig ist”, wo ich den Zusammenhang zwischen Trauma und Selbstwirksamkeit erkläre.
Dank Waldbaden weniger Stress trotz Trauma
Für traumatisierte Menschen kann Entspannung zu einer Herausforderung werden. Denn auch wenn der Wunsch danach groß ist, spielt der Körper manchmal einfach nicht mit, wie ich aus eigener Erfahrung nur zu gut weiß.
Hier kann Waldbaden helfen, denn es verbindet sanfte Bewegung mit der bewussten Orientierung im Hier und Jetzt und dem Kontakt zur Natur. Alles Faktoren, die mit geringem Aufwand nachhaltig Stress und Anspannung verringern.
Durch die Aktivierung unserer fünf Sinne und die Wiederentdeckung der Langsamkeit beim Waldbaden können wir lernen, die sanfte Faszination der Natur zu nutzen, um unsere Kraftspeicher wieder aufzuladen. Und vielleicht sogar einen neuen Lieblingsplatz im Wald finden.
Mit Hilfe einfacher Übungen, wie dem Erforschen des Wechselspiels aus Licht und Schatten, dem Beobachten eines Tieres oder dem Gestalten eines Kunstwerks aus Naturmaterialien können wir lernen, mit allem, was gerade da ist, im gegenwärtigen Moment zu sein.
Und trotz Trauma durch Waldbaden Stress abbauen und zur Entspannung finden.
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Wenn du mehr über Waldbaden, Trauma und Stress wissen willst, könnte das traumasensitive Waldbaden etwas für dich sein, was eng verknüpft ist mit dem Konzept der traumasensitiven Achtsamkeit.